Willkommen Gast. Bitte Einloggen oder Registrieren
Willkommen im Kubaforum
 
Willkommen im Kubaforum!!
  ÜbersichtHilfeSuchenEinloggenRegistrieren  
 
 
Seitenindex umschalten Seiten: 1
Thema versenden Drucken
Castros geduldige Kinder (Gelesen: 1550 mal)
25. Juli 2003 um 09:56

uwe   Offline
Administrator

Geschlecht: male
Beiträge: 1895
*****
 
Eine Verhaftungswelle unter Dissidenten erinnerte im März noch einmal an die hässliche Seite der kubanischen Revolution. Furcht und Schwermut liegen jetzt über dem Land
Von Bernd Lentz
Die Reste der Revolution haben in einer verrosteten Schubkarre Platz. Das darf man so nicht sehen, aber man sieht es ganz unwillkürlich so. Die Schubkarre mit den Resten der Revolution steht in Havannas Museum der Schönen Künste. Sie ist voll geladen mit einem Haufen trockener Knochen. Knochen auf der Suche nach Fleisch heißt das Werk, entstanden vor wenigen Monaten. Roberto Fabelo gehört zur Künstlerelite des Landes. Im Gespräch mit einer kubanischen Kulturzeitschrift sagt er: „Die Versorgung ist ein alltägliches Problem, und manchmal ist sie ein brennendes und unlösbares Problem – jedenfalls in jenen Teilen der Welt, in denen der Reichtum ungleich verteilt wird.“ Das ist eine brave und zugleich eine böse Antwort. Sie beschwört, ganz klassisch, das alte Biest Kapitalismus herauf, das da draußen auf der Welt weiter wütet. Sie lässt aber auch eine Deutung zu, die viel näher liegt: In Kuba ist die Versorgung ein brennendes Problem; in Kuba w ird der Reichtum ungleich verteilt; die Revolution ist abgenagt, ausgezehrt – ein Haufen Knochen auf der Suche nach Fleisch.
Im Fernsehen werden kubanische Fahnen geschwenkt, massenhaft. Es sehen nur ein paar Greise hin, wie betäubt. Ein gespenstisches Bild: das wimmelnde Winken auf der Mattscheibe, fixiert von fast schon totenstarren Blicken. In seinem neuen Film Suite Havana, einem dokumentarischen Essay, begleitet Fernando Perez für 24 Stunden das entbehrungsreiche Leben von zwei Hand voll gewöhnlicher Kubaner. Die einzige Person, die lacht, ist ein Kind mit Down-Syndrom. Es redet niemand; Perez spart Gespräche aus. Am Ende des dialoglosen Films werden die Figuren vorgestellt, die Perez begleitet hat, mit ihren Berufen und Träumen. Zum Schluss die ambulante Erdnussverkäuferin, eine Rentnerin: „Sie verkauft Erdnüsse, um zu überleben. Sie hat keine Träume mehr.“ Nach jeder Vorstellung wird im Kino geklatscht. Der Film ist Stadtgespräch, obwohl er nur in einem einzigen Saal läuft. Im Friseursalon sagt anderntags eine Frau: „Der Regisseur sitzt doch im Gefängnis, oder?
Der alte Fuchs macht Fehler
Nein, sitzt er nicht. Er nicht. Ende März sind auf Kuba 75 Oppositionelle festgenommen worden. Man hat ihnen eilig den Prozess gemacht und sie zu hohen Haftstrafen von bis zu 28 Jahren verurteilt. Angeblich waren sie, ob als freie Journalisten, unabhängige Gewerkschafter oder Menschenrechtsaktivisten, „Söldner“ des Erzfeindes USA und im Begriff, die nationale Souveränität Kubas zu untergraben. Sie verbüßen ihre Strafe großenteils in Gefängnissen, die Hunderte Kilometer von den Wohnorten ihrer Familien entfernt liegen, zum Teil in Isolationshaft. Ehepartner haben in vielen Fällen nur alle vier Monate Besuchsrecht. Parallel zu den Dissidenten-Prozessen wurden drei junge Männer zum Tode verurteilt. Sie hatten kurz zuvor eine Fähre entführt und dabei Geiseln genommen. Sie wollten nach Miami, wurden aber im Hafen von Havanna überwältigt. Wenige Stunden nach einem Eilverfahren richtete man sie hin. Die Familien konnten erst auf dem Friedhof von ihren Angehörigen Absc hied nehmen.
Man kann in Havanna ungestört ins Kino gehen und einen kritischen Film sehen oder eine kritische Ausstellung besuchen. Aber es ist nicht ganz so leicht, Künstlern oder Intellektuellen kritische Fragen zu stellen. Im Augenblick möchte sich niemand den Mund verbrennen. Viele haben Angst. Sie senken die Stimme, sie sehen sich um. „Ich rede offen, aber nur in geschlossenen Räumen – wenn ich weiß, mit wem ich es zu tun habe.“ Und bitte keinen Namen nennen. Das sagen nicht alle, aber viele. „Die kubanische Politik folgt im Moment der Logik des belagerten Platzes“, sagt der Historiker. „Wenn man sich umzingelt und bedrängt fühlt, ist man irgendwann zu jeder Panikreaktion bereit.“
Seit Beginn der Irak-Invasion scheint Fidel Castro sich besonders bedroht zu fühlen. Das Militär zeigt Präsenz, es finden mehr Manöver statt, angeblich wurden sogar die Sirenen angeworfen, als die USA im Nahen Osten ihren Einmarsch begannen. Und der Ton verschärft sich. Bushs Regierung wird inzwischen „nazi-faschistisch“ und „hitleristisch“ genannt, auch Spaniens Ministerpräsident Aznar ist auf offiziellen Plakaten mit Führerbärtchen und Hakenkreuz abgebildet. Ist das Panik oder Kalkül? Denn es gibt auch eine ganz andere, zugegeben, abenteuerliche Theorie: Der zufolge provoziert Castro die Invasion der USA – damit er sich im entscheidenden Augenblick noch einmal an die Front stürzen kann. Er stürbe für die sieche Revolution – und diese mit ihm. Was für ein Finale, glamourös im Vergleich zum spätrevolutionären Alltag, in dem der Sozialismus und sein Führer Jahr für Jahr fahler wirken. Der Führer gibt dem (zweifellos unheilvollen) US-Embar go die Schuld an allen Engpässen, während viele Gegner behaupten, Castro profitiere in Wirklichkeit vom Embargo: Er nutze es als universellen Sündenbock für die hausgemachte Misswirtschaft.
Castro, das alte politische Tier. Fast jeder, Freund wie Feind, hält den Comandante noch immer für einen verschlagenen Strategen. Aber bei manchen bröckelt der Respekt. „Es ist traurig“, sagt ein EU-Diplomat, „doch diesmal ist er den Amis einfach in die Falle gegangen. Bush hat Castro provoziert, und der hat zugebissen ohne Not. Jetzt ist er international isoliert – wie Bush es sich gewünscht hat.“ Manche Gesprächspartner sehen weit hinaus in die Welt, um die Repression vor Ort zu erklären. Warum mussten die Dissidenten hinter Gitter? „Sehen Sie, Bush hat doch damals gelogen, als es um die Massenvernichtungswaffen des Irak ging…“ So beginnt der Soziologe, in weiten Bögen und kleinen Schritten, seine Rechtfertigungsrede. Zunächst wird der imperialistische Gestus von Bushs Außenpolitk nachgewiesen. Außerdem sei Kuba doch plötzlich auf die Achse des Bösen gesetzt worden, und mehrere US-Politiker hätten in etwa gesagt: Wenn das Saddam-Problem gelöst sei, warum nicht als Nächstes das Castro-Problem lösen?
Ein jour fixe im Abbruchhaus
Wer würde sich da nicht bedroht fühlen? Und dann hatte Bush im September 2002 auch noch James Cason zum US-Gesandten auf der Insel gemacht (einen ordentlichen Botschafter gibt es nicht). Cason unterstützt offen die Dissidenz, er organisiert den Widerstand, stellt das eigene Haus zur Gründung einer Anti-Castro-Jugendorganisation zur Verfügung. Ein souveräner Staat hat jedes Recht, ihm diese Provokationen zu verbieten.
Man hätte Cason also ausweisen müssen. Aber dann hätten die Amerikaner im Gegenzug Kubas Diplomaten aus Washington verbannt, und die sind unverzichtbar für die Lobbyarbeit gegen das Embargo. Also steckte man Casons vermeintlichen Kollaborateure hinter Gitter. Und verhängte obendrein Todesstrafen gegen jene, die eine neue Massenflucht ins Rollen bringen könnten. Denn noch immer locken die USA Kubaner mit zügiger Einbürgerung. „Ich bin gegen die Todesstrafe. Daraus mache ich auch keinen Hehl“, sagt die Kulturfunktionärin. „Aber die USA haben Kuba einfach in eine gefährliche Lage gebracht.“
Niemand verteidigt die drakonischen Strafen. Viele tragen den Oppositionellen allerdings die Zusammenarbeit mit den USA nach. „Das mögen ja ehrenwerte Leute sein“, sagt der Künstler, „aber die haben sich verkauft.“ Mit Imperialisten paktiert man nicht, das ist Konsens. Kubanische Intellektuelle schätzen den breiten akademischen und kulturellen Austausch, der noch immer zwischen beiden Ländern herrscht, und treffen gern mit US-Kollegen zusammen. Doch feindlicher Destabilisierungspolitik darf ein aufrechter Kubaner, und hasse er auch Castro, nicht zuarbeiten. „Unter den Dissidenten sind sicher integre Menschen“, sagt die Dramaturgin. „Aber im Fernsehen haben sie Schecks gezeigt, ausgestellt in Miami, über mehrere tausend Dollar. Das macht die Dissidenten verdächtig.“
Vor zwei Wochen wurde endlich das lang angekündigte Buch zum Thema ausgeliefert: „Los Disidentes“, der Titel also in Anführungsstrichen, mit dem Untertitel Agenten der kubanischen Staatssicherheit enthüllen die wahre Geschichte. Auch darin ist viel von Schecks die Rede; natürlich wird nicht erwähnt, dass die Mitgliedschaft in einer so genannten dissidentischen Organisation automatisch zum Berufsverbot führt. Die Bereitschaft, Geld anzunehmen, würde sonst womöglich plausibel erscheinen. Das Buch findet reißenden Absatz – denn die meisten Kubaner wissen bisher kaum etwas über die Dissidenten. „Die Urteile waren auch deshalb so brutal,“ sagt der Regisseur, „weil diese Leute gar keinen Einfluss hatten.“
Tatsächlich sind sogar die international renommierten Personen aus dem zersplitterten Oppositionspanorama im Lande selbst weitgehend unbekannt – Elizardo Sanchez etwa, Leiter der Kubanischen Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung, oder Oswaldo Payá, der im vergangenen Jahr mit dem Proyecto Varela vergeblich ein Volksbegehren zu Wahl- und Menschenrechten ins Parlament einzubringen versuchte. Die beiden befinden sich weiterhin auf freiem Fuß, auch wenn sie im Buch umfassend diffamiert werden.
Von den 75 Verhafteten ist im Grunde nur Raúl Rivero allgemein bekannt – weil er schon ein populärer Dichter war, bevor er 1995 seine unabhängige Nachrichtenagentur Cubapress ins Leben rief. Unkenntnis und Propaganda verleiten manche Intellektuelle gelegentlich zu überraschenden Urteilen. „Raúl Rivero war ein ordentlicher Dichter. Aber der Rest der Dissidenten ist eine Bande Nichtsnutze“, sagt die (systemkritische) Literaturprofessorin, ohne wirklich über die Arbeit der Opposition Bescheid zu wissen. In dieser Aussage hallt nur der schlechte Ruf nach, in dem die Dissidenz vielfach steht. „Die reden großspurig von Menschenrechten und Verfassungsänderungen, interessieren sich aber nicht für das, was das Volk wirklich bedrückt“, sagt die (systemkritische) Soziologin. „Die haben eine Marktlücke entdeckt, mit der sie international renommieren können. Letztlich wollen sie nur selbst an die Macht.“
Die meisten Mitarbeiter der Graswurzelgrüppchen gehören nicht zum intellektuellen Milieu, das macht die Abwehr leichter. Hinzu kommt, so der Historiker: „Wer die Aktivisten schlechtredet, nimmt damit die eigene Passivität in Schutz.“ Der Mittsechziger, der selbst schon einmal als Regimegegner hatte einsitzen müssen, versammelt jeden Donnerstag junge Leute zum Gespräch in seiner baufälligen Wohnung. Diskussionen über Politik sind unerwünscht (die Staatssicherheit sitzt mit am Tisch), sie bleiben aber nicht aus. „Die Desinformation ist so umfassend“, sagt der Schauspieler, „dass man sich anstrengen muss, mehr wissen zu wollen. Manchmal lässt man es lieber sein.“ Die Kubaner sind 45 Jahre nach der Revolution zu einem duldsamen Volk geworden. Manche regen sich über die „krankhafte Geduld“ auf, andere regen sich wieder ab: „Die Duldsamkeit hält zwar das System am Leben – aber auch die Menschen. Die würden sonst verzwei feln.“
Was der Staat an kritischer Kultur zulässt, schürt womöglich keine Dissidenz, sondern sediert sie. In eingehegten Freiräumen kann die Unzufriedenheit kurz Luft holen, danach reicht der Atem für den nächsten Duldungsschub. Dabei hilft die alte Weisheit: „In Kuba ist eine geöffnete Tür nie wirklich offen, aber eine geschlossene Tür auch nie wirklich geschlossen.“ Im Moment scheint der Satz allerdings einer Belastungsprobe ausgesetzt zu sein. Die EU hat beschlossen, offizielle Kontakte zu Kuba auf diversen Ebenen einzuschränken. Außerdem wurden die EU-Botschaften angewiesen, zu wichtigen Empfängen auch Dissidenten einzuladen. Man spricht schon vom „Krieg der Canapés“. Am 14. Juli flanierten Oswaldo Payá und Elizardo Sanchez durch den Garten der französischen Vertretung. Kubanische Regierungsvertreter hatten indigniert abgesagt.
Gute Zeit für Paranoia
Kaum ein Kubaner kennt die EU-Maßnahmen im Einzelnen, in den offiziellen Medien ist nur vom „Vasallentum Europas“ gegenüber dem US-Faschismus die Rede. „Wir verstehen allerdings“, sagt die Schriftstellerin, „dass wir nun die ganze Welt gegen uns haben.“ Künstler und Intellektuelle fürchten vor allem, dass sich Türen ins Ausland schließen, zu einer anderen, noch begehrteren Sorte Freiraum. Stipendien, Tourneen, Ausstellungen, Gastsemester – im Kulturbereich wurde bisher vergleichsweise viel gereist, auch in die USA. Jetzt haben verschiedene Länder begonnen, Projekte zu verschieben, Etats zu streichen, Kontingente zu kürzen. Auch die kubanische Regierung verfährt restriktiver, was Visa für ihre Kulturarbeiter angeht. Und sie setzt die Visafrage als Druckmittel ein. Kurz nach der Massenverurteilung waren sämtliche Mitglieder der kubanischen Künstlerunion aufgerufen, in einem propagandistischen offenen Brief sogar die Hinrichtungen als „schmerzhaft, aber notwendig“ zu rechtfertigen. Zauderern wurde indirekt zu verstehen gegeben, dass eine fehlende Unterschrift sich auf künftige Reisemöglichkeiten auswirken würde.
„Alle zittern im Moment. Eine gute Zeit für Paranoia“, sagt der Regisseur. „Wir flüchten uns noch stärker in die Selbstzensur. Damit kennen wir uns aus.“ Die Selbstzensur ist ein Bestandteil der Duldsamkeit, die wiederum Teil der allgemeinen Überlebensstrategie ist. Die Intellektuellen wollen in Kuba bleiben. Wer gereist ist, kennt kubanische Kollegen im Exil, die ihre Heimat vermissen und ihr geistiges Zuhause verloren haben. Aber das Überleben wird immer schwieriger, geistig wie materiell. „Wir haben uns angewöhnt, Arme, Kriminelle oder jugendliche Randgruppen als marginales zu bezeichnen. In Wirklichkeit sind wir ein einziges Volk von Marginalisierten“, sagt die Literaturdozentin. Sie arbeitet für Radiosender und Zeitschriften und ist trotzdem gezwungen, jedes Buch zu stehlen, weil ihre Einkünfte gerade für Nahrungsmittel reichen. „Die Revolution verstößt ihre Kinder systematisch“, sagt der Schriftsteller. „ Wer einer ordentlichen Arbeit nachgeht, kann kein ordentliches Leben mehr führen. Wer ein ordentliches Leben führen will, muss sein Geld unsauber verdienen.“
Der Revolution haben die Kubaner ein kostbares Selbstwertgefühl zu verdanken, einzigartig in Lateinamerika. Was davon noch übrig ist, wendet sich nun gegen den Staat. Man verachtet die Verwalter der Revolution für ihre Unfähigkeit anzuerkennen, dass eine würdige Existenz im real existierenden Sozialismus nicht mehr möglich ist. Jede Revolution braucht ein Volk, um zu überleben. Das kubanische Volk aber kann nur noch gegen die Revolution überleben. Knochen auf der Suche nach Fleisch: Die Revolution ist zum Skelett abgemagert. Sie hat keine Nerven mehr, keine Adern, kein Herz. Sie trägt nur noch Uniform. Sie ist umzingelt. Aber sie darf nicht sterben. Nicht vor ihrem Führer.
 
IP gespeichert
 
Seitenindex umschalten Seiten: 1
Thema versenden Drucken