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"SOMOS DIFERENTES - WIR SIND ANDERS" (Gelesen: 1610 mal)
31. Dezember 2005 um 10:17
alina   Ex-Mitglied

 
Exzellenter Reisebericht von "Nabeis" aus Bochum  Augenrollen

http://nabeis.blogspot.com/2005/12/kuba-somos-diferentes-wir-sind-anders.html

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Zunge


29.12.05

Kuba "SOMOS DIFERENTES - WIR SIND ANDERS"

So gut, wie dieses geflügelte Wort auf die Kubaner zutrifft, ist es vielleicht doch ein bißchen anders gemeint. Zwischen europäischer Hochkultur und karibischer Armut, zwischen kapitalistischen Hinterlassenschaften und korruptem Kommunismus hat sich eine facettenreiche und widersprüchliche Lebensart entwickelt.

Havanna, einst der Sündenpfuhl reicher Amerikaner, ist heute dem Verfall preisgegeben. Doch seit Fidel - Schimpfwort und Segen zugleich - entdeckt hat, dass sich mit Touristendollars Finanzlücken stopfen lassen wurde vor dem Besuch des Papstes 1998 ein Hauch von Denkmalpflege betrieben. Andere Häuser, die Mehrheit, verfällt. Doch auch in den verfallenen Häusern leben Menschen, meist unregistriert. In Zeiten des Verfalls des Kommunismus herrscht auf Kuba ein eigenartiger Schwebezustand, ein vorsichtiges Schnuppern nach dem Geld der „Feinde“, eine große Unsicherheit bei dem Gedanken, dass Fidel nicht ewig lebt und die Exilkubaner in Miami schon lange Listen mit Grundbesitzansprüchen vorliegen haben, zugleich die Sehnsucht nach einem american-way-of-life, Reisefreiheit und vor allem freie Meinungsäußerung. Die „Brüder“ im Exil werden gehasst und beneidet. Inzwischen sind es die Nachkommen der Eltern, die einst ihr Leben riskierten und jetzt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Leben führen, was doch die Kubaner auf Kuba eigentlich verdient hätten. Denn nach Lippenbekenntnissen beteuert jeder, dass und wie gut er arbeiten kann nur kann er es ja im sozialistischen System nicht beweisen. Wozu arbeiten? Nur für ein paar Pesos, von denen man eh nichts kaufen kann? Wozu eine Ausbildung machen, wenn sich damit nicht an Dollar kommen lässt. Die wohl einfachste Art ist die Prostitution, die es bis vor Kurzem offiziell nicht gab. Genauso wie Aids, SIDA im spanischen. Das Wunder des Kommunismus ist oft dessen Kehrseite. Im Gegenzug zu einer einst hervorragenden medizinischen Versorgung und Vorsorge entstanden gut organisierte Kontrollmechanismen. So ist es möglich, jeden HIV-infizierten wie in Quarantäne wegzusperren. Er verliert seine Arbeit, der Kontakt zur Familie ist untersagt. An die Möglichkeit, dem untersuchenden Arzt - der nur ein paar Pesos verdient - eine 5 $-Note unter die Nase zu halten und dafür als gesund zu gelten, hatte Fidel wohl nie gedacht.
Die Schere zwischen ausgezeichneten medizinischen Heilmethoden, der exzellenten Ausbildung und andererseits einer Bevölkerung, die sich auf dem Schwarzmarkt ihre Medikamente kaufen muss, um Angehörige im Krankenhaus selbst zu beköstigen, wird immer größer. Dazwischen tut sich eine große Grauzone auf. In dieser Grauzone kann man eigentlich alles kaufen. Eigentlich. Wie auch in anderen sozialistischen Ländern, gibt es einen florierenden Schwarzmarkt, auf dem gegen Dollar alles erhältlich ist. Man muss nur wissen, wer wen kennt, wo Dollar gegen Pesos eingetauscht werden, welcher Schwager in einer Zigarrenfabrik arbeitet etc. Nirgends sonst sind die Gegensätze größer als in Kubas Hauptstadt, wo die Placa de la revolucion beschattet wird von bedrohlichen Verwaltungshochhäusern, wo tagsüber die Touristen durch Havanna vieja an Hemingways Stammkneipe vorbeischauen, wo neben überlebensgroßen Che-Guevara-Bildern die Poster des letzten Papstbesuches prangen, wo ein 57er Chevrolet vor Fidel Castros Studentischer Stammkneipe parkt - in der er im Übrigen die Zeche prellte und dann alles verstaatlichte -, wo die Prostituierten gegenüber des Denkmals Cristobal Colons am Malecon auf und ab gehen. Wo die Zeit stehen geblieben ist, vorübergezogen ist.

Doch Havanna ist nicht Kuba. Anderswo sind auch die hochherrschaftlichen spanischen Villen nur noch Ruinen, doch die Gegensätze spiegeln sich deutlicher im Alltag wider. Die bedrückende Sorge beim frühmorgendlichen Marktbesuch über die Frage „was esse ich heute, wenn überhaupt?“ vermischt sich mit dem Tanz zu Salsa-Rhythmen. Die Machismo-Mentalität der Männer, die allein für ihre Familie sorgen wollen vermischt sich mit der kommunistischen Gleichstellung der Frau, die oft genug den höheren Verdienst hat, die Klassenunterschiede, wie wir sie kennen verwischen. Hier ist der Taxifahrer der Halbgott, der Arzt nur ein armer Schlucker. Zu dem stolzen Wesen und der Einstellung: „es gibt kein Volk der Welt, das mehr leisten kann als wir“, kommt Raffgier sowie die Art, den Tag zu nehmen, wie er kommt. Vieles ist generationsbedingt, vieles andere einfach das Wesen der Kubaner. Die Generation der 20- bis 30jährigen erinnert sehr an die deutsche Wende. Fragt man jemanden, was er sich wünscht, kommt die Antwort „Dollar“ wie aus der Pistole geschossen. Es existiert nicht der Wunsch nach einer fundierten Ausbildung, nicht eine Karriereplanung, sondern der Gedanke ans Heute bestimmt das Denken. Fidels Kinder der Revolution wollen nicht so unbedingt arbeiten, sie wollen Geld verdienen. Was mit dem Rest der Welt passiert, ist ihnen relativ egal. Ein irgendwie geartetes politisches Bewusstsein sucht man vergebens. Es sind die gefallenen Wirtschaftswunderkinder, die in den guten Zeiten der russischen Subventionen aufwuchsen und plötzlich vor einer Degradierung des Lebensstandards stehen. Und den wollen sie wiederhaben. Deshalb will niemand mehr studieren, vielmehr ein paar Monate auf eine Schule gehen und Animateur werden, egal was, Hauptsache im Tourismus.

Der Tourismus, und damit die Existenz einer zweiten Währung, teilt die Bevölkerung. Und sie entspringt einem gespaltenen Geist. Durch die amerikanische Wirtschaftsblockade zu Recht verpönt, denn das Helms-Burton-Gesetzt verbietet jegliches Geschäft mit Kuba und verhindert Hilfslieferungen wie Medikamente, ist der Dollar die einzige Währung, in der Ausländer bezahlen können; der Besitz von Pesos ist verboten. Die 40- bis 50jährigen dagegen sind diejenigen, die am ehesten einen guten Job haben wollen, die einst die Vorzüge einer kostenlosen Ausbildung an den Universitäten genießen konnten und die teilweise zumindest als Anwälte, Zahnärzte oder Bankangestellte gearbeitet haben. Größtenteils sind genau diese Leute ins Kreuzfeuer des Regimes geraten, haben den Mund zu weit aufgemacht. Ein Rechtsanwalt arbeitet heute auf einer staatlichen Tauchbasis. Sein Widerspruchsgeist ist keineswegs gebrochen. Genau diese Generation sieht aber auch die Leistungen des Castro-Regimes. Genau sie profitierten von der guten schulischen und universitären Ausbildung. Genau diese Generation ist intelligent und könnte doch eigentlich eine politische Gegenbewegung bilden. Doch sie blickt besorgt auf ihre Kinder, die reine Materialisten sind und noch wesentlich besorgter nach Miami. Dort sitzt die unheilige Verwandtschaft, die ihnen eines Tages das Wenige rauben wird, was sie jetzt besitzen.
Die Generation der Großeltern dagegen wuchs noch in Saus und Braus auf. Oder eben auch nicht. Das war die Zeit der Großgrundbesitzer. Das war die Zeit, als die Arachabella-Rumfabrik noch in Familienbesitz war. Als die Angestellten noch von den Reichen ausgebeutet wurden. Als in Havanna noch Milch und Honig für Wenige flossen. Genau aus dieser Zeit sind auch noch die Autos, die auf Kuba herumfahren. Autos, die auf 100 km bestimmt ihre 20 bis 30 Liter Benzin verbrauchen - was im Übrigen auch rationiert ist. Trotzdem herrscht reger Verkehr. Ganz einfach: man fahre zunächst an die Rückseite der Tankstelle und frage nach schwarzem Benzin. Gibt es das nicht, kauft man ein paar Liter zum offiziellen Preis und versucht es woanders noch mal. Dann aber gibt es wieder Straßen, fast ohne Schlaglöcher, auf denen eine Völkerwanderung stattfindet. Ganz klar: wer ein Auto besitzt, ist Taxifahrer. Privater. Die Mitnahme von Touristen ist strengstens untersagt - daran hält sich natürlich niemand, der noch mal einen Wochenlohn extra verdienen kann - verknüpft mit einer hohen Geldstrafe, dem Entzug der Fahrerlaubnis und im Zweifelsfalle Gefängnis. Um Verbote kümmert man sich auf Kuba nur solange, bis man weiß, wie man sie zu umgehen hat. Manchmal gibt es Phasen, in denen Kubanerinnen in Miniröcken eine Nacht auf der Polizeistation verbringen. Grund ist der Vorwurf der Prostitution - so zumindest offiziell. Eigentlich steckte der bevorstehende Papstbesuch dahinter. Nach einer Nacht werden die nach Razzia-Machart eingefangenen Frauen wieder auf freien Fuß gesetzt. Niemand reagiert hysterisch, man bzw. frau nimmt’s gelassen. So ist das eben. Inzwischen regt sich auch niemand mehr über den typischen Stromausfall von 18 bis 20 Uhr auf. Man wischt die Pfütze des abtauenden Kühlschrankes weg, tapst im Halbdunkel bei Kerzenschein herum oder wartet einfach auf Licht. Wenn der Strom gerade dann ausfällt, wenn die Computer laufen... tja, Pech. Da fängt man halt wieder von vorne an. Wen interessiert schon, ob die Arbeit heute, morgen oder nächste Woche fertig wird? Diese Lethargie ist ein typisches Phänomen des Sozialismus. Keineswegs ist dies bei den Exilkubanern, die in Miami ihre Hochburg haben, zu finden - auch wenn damals die Invasion der Schweinebucht doch etwas kopflos erschien.

Natürlich stimmt es Exilkubaner in Miami traurig, wenn sie wissen, das täglich für mehrere Stunden kein Strom geliefert wird - dabei war Kuba das erste Land mit einer Straßenbeleuchtung. Viele Exilkubaner scheinen sich vorzustellen, dass Castro nur sterben muss und man kehrt auf Kuba zu den guten alten Zeiten zurück. Zurück nach Kuba wollen alle, die im Ausland sind. Nur „ich setzte keinen Fuß auf kubanischen Boden, solange Fidel noch lebt“ ist das Selbstverständlichste für sie. „Mein“ Exilkubaner ist ein gemachter Mann. Er hatte das Glück, dass seine Eltern flohen. Heute ist er Rechtsanwalt mit Frau, 3 Kindern, großem Haus, Garten und einem „exotic car“: einem Mercedes. Hier ist die Gelegenheit einmal zu vergleichen, was wohl von der kubanischen Mentalität übriggeblieben ist. Das unschlagbare Selbstbewusstsein: ich kann alles - und wenn es Stromleitungen sind, die verlegt werden müssen. Ein Einfühlungsvermögen in den Gesprächspartner, was Europäer immer wieder um den kleinen Finger wickelt. Eine Natürlichkeit des Wesens, die oft bei den gutsituierten auf der Strecke bleibt. Und, egal wie arm oder wie reich: unbeeindruckbar. Am besten zu sehen an Kubanern, die mal ins Ausland gelangen. Ziemlich gut wiedergegeben in „buena vista social club“. Ja, hier ist es ja schön....aber wir zuhause haben es schöner bzw. könnten es schöner haben, hätten wir das Geld. Nichts und niemand ist besser als Kuba. Selbst das Essen, worüber auf Kuba immer geflucht wird, denn es gibt wenig anderes als Reis mit Bohnen (wie auch sonst überall in der Karibik), wird im Ausland schlecht gemacht. Ja, es schmeckt gut, aber.... jaja, ich weiß! Nichts und niemand ist besser als Kuba.

Genauso wird ständig über den schlechten Zustand der Häuser geklagt. Aber als Fremder darf man damit nicht ankommen! Frevel. Mal abgesehen davon, dass kaum Baumaterialien vorhanden sind und diese auch noch schier unbezahlbar, ist es nicht nur Fidels Verschulden. Genauso könnte man sagen, was sich wohl die Spanier dabei gedacht haben, Steinhäuser mit kleinen Fenstern in ein feuchtheißes Klima zu bauen? Sie waren nicht klug genug, sich von den Einheimischen die leichte luftige Holzbauweise abzugucken.

Etwas anderes ist den Kubanern noch gemeinsam. Eine Naturverbundenheit, die ebenso widersprüchlich ist, wie der Rest. Sie alle wollen doch viele Straßen, Fabriken, neue Gebäude, Autos. Aber den Busch, die Berge, die Wildnis, die will auch keiner missen. Ein Freund sagte mir „Kubaner sind wie Kinder“. In gewisser Weise hat er Recht: sie staunen wie Kinder, sie wollen alles gleichzeitig. Freiheit, Luxus, Demokratie. Niemand brachte ihnen bei, dass solche Werte nicht plötzlich da sind, sondern dass sie erst in einem langsamen arbeitsreichen Prozess entstehen müssen. Niemand wird diese Kinder an die Hand nehmen. Das müssen sie selbst tun, wenn sie nicht vom Regen in die Traufe kommen wollen.

Darüber wird immer wieder vergessen, dass zwar auf Kuba gehungert wird, aber eben nicht so, wie in anderen dritte-Welt-Ländern, zu denen auch einige Nachbarstaaten gehören. Ich selbst bin vom Frühstück, bestehend aus einem Glas Zuckerwasser, nicht sonderlich satt geworden. Andererseits lebe ich auch nicht in einem großen Haus mit kostenlosem Stromverbrauch - daher auch die Überlastung des öffentlichen Stromnetzes - mit eigenem Garten. Die Kubaner lassen an Fidel kein gutes Haar, doch er hat einiges erreicht. Eine so gute medizinische Versorgung gibt es - vergleicht man die Anzahl der Patienten pro Arzt - bei weitem nicht. Ein Bildungssystem, dass durchaus mit Westeuropa konkurrieren kann, sucht man in Staaten dieser Region vergebens. Ganz im Gegenteil dazu lebt der größte Teil der Kariben in Häusern ohne Strom und fließendes Wasser, die Lebenserwartung ist nicht wie in Kuba über 70 Jahre sondern weit darunter, die Kindersterblichkeit ist so niedrig wie in Deutschland. Einmal habe ich darüber mit Kubanern diskutiert. Nie wieder. Diese unschönen Wahrheiten will keiner hören, da ist es doch viel einfacher, den alten Zeiten hinterher zu trauern. Gut, ich gebe zu, auch auf Kuba gibt es große Armut. In Cienfuegos betteln Kinder Ausländer um Kaugummis an.

Schaut man ein wenig genauer hin, erkennt man auch im „wir sind alle gleich“-System, dass es 2 Klassen gibt. Die Schwarzen leben grundsätzlich in den Teilen der Stadt, die zur Regenzeit fast ersaufen. Hier wird die Straßenbeleuchtung fast gar nicht mehr angeschaltet. Die Straßen sind schlechter, sind Schlaglochpisten. Die Häuser sind kleiner und dunkler, haben kein abgetrenntes Badezimmer, meist nur einen Wohn- und Schlafraum. Die Kriminalität, die es ja angeblich auch nicht gibt, ist noch höher. Wie in allen kommunistischen Systemen sind auch hier nicht alle gleich oder es sind einige gleicher als andere. Das hat natürlich zur Folge, dass aus kleinsten Unterschieden große gemacht werden.

Vieles aus dem alltäglichen Leben erkennen wir wieder: in der damaligen DDR gab es auch eine Mischung aus Neid und Angst. Dort wurde den Menschen das Arbeiten ebenfalls regelrecht abgewöhnt. Dort existierte auch lange genug kein politisches Bewusstsein. Die Hoffnung, dass eine Wende zur Demokratie genauso friedlich abläuft, hat kaum jemand. Hier gibt es keine demokratisch-kapitalistische Hälfte. Die Kubaner wissen, sie stehen international ziemlich verloren da, wenn Fidel stürzt.
 
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