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Immer am Rande der Illegalität (Gelesen: 2060 mal)
31. Dezember 2005 um 10:30
alina   Ex-Mitglied

 
Zweiter Reisebericht von Nabeis, der Durchblickerin ...

http://nabeis.blogspot.com/2005/12/kuba-somos-diferentes-wir-sind-anders.html



Immer am Rande der Illegalität

Vor meinem zweiten Kubabesuch stieß ich bei einer Internet-Recherche auf den Satz: „...als ich bei Einbruch der Dunkelheit im Flughafen von Havanna ankam, fühlte ich mich wie in einem Spionageroman...“


Nun, so schlimm kann es doch gar nicht sein, oder? Immerhin war man ja schon mal als ‘normaler’ Pauschaltourist auf Kuba, und die Einladung einer netten kubanischen Familie nimmt man schon aus Abenteuerlust an.
Doch der erste nicht ganz zulässige Schritt erfolgte schon in Deutschland. Normalerweise benötigen Kuba-Touristen, eine Touristenkarte, die der kubanische Staat nur ausstellt, wenn 2 Hotelübernachtungen gebucht wurden. Man bzw. frau kann natürlich irgendein Hotel aus dem Katalog in das Feld eintragen, steht dann allerdings ein bisschen verschwitzter als seine Mitreisenden an der Passkontrolle. Tief durchatmen, jetzt kommt die zweite Hürde. Ich hatte mich mit einem Familienmitglied am Flughafen verabredet. Nun ist es aber so, dass der Flughafen die Touristen von den Einheimischen schön abgren¬zen soll. Was im Klartext bedeutet, dass kein Kubaner in den Flughafen hineinkommt. Meinen Abholer sah ich zwar schon durch die verschmierten Scheiben, aber dummerweise nichts von meinem Gepäck. Das erschien dann endlich 1 ½ Stunden später, wobei ich immer befürchtete, dass mein Gastgeber vielleicht die Geduld verlieren und wieder nach Hause fahren könnte.
Welch eine europäische Sichtweise! Kubaner verlieren nicht die Geduld, sonst wären sie keine Kubaner. Schon fast an der Tür angelangt, kommt ein Zollbeamter auf mich zu und sein Blick verrät deutlich: diese schwere Reisetasche wird jetzt kontrolliert! Schon wieder breche ich in Schweiß aus; wenn es denn irgendwie geht, möchte ich eine Durchsuchung verhindern. Denn die Veterinärmedizinischen Medikamente, die ich für meine Gastfamilie mitgebracht habe, darf man nicht einführen. Mal ganz abgesehen von Sachen, die nicht für den persönlichen Bedarf bestimmt sind, z.B. Turnschuhe Größe 45. Und am Ende hätte ich diese volle Reisetasche nie wieder zubekommen. Also rede ich freundlich mit dem Mann vom Zoll und - das war wohl der entscheidende Trick - antworte auf spanisch, ich sei nicht das erste Mal hier, ja, tatsächlich alleine und arbeite in einem Krankenhaus. Die typisch kubanische Antwort: ja, was für ein Zufall! Auch er sei Biologe! Jeder Kubaner ist glänzend dazu in der Lage, sich auf seinen Gegenüber einzustellen und hat dann tatsächlich denselben Beruf oder die gleichen Hobbys.
Der Zollbeamte durchsucht meine Tasche nicht. Puh! Jetzt aber, schnell vorbei an dem guten Mann, bevor er sich’s noch mal anders überlegt. Natürlich ist man in einem kommunisti¬schen Land der Willkür der Amtsträger weitaus mehr ausgesetzt als hierzulande. Und wer will schon riskieren, eine Nacht in einem kubanischen Gefängnis zu verbringen?
Mein Abholer hat wohlweislich ein privates Taxi organisiert. Mit einem Touristentaxi hätte die Fahrt wahrscheinlich 70 oder 80 $ gekostet. Dummerweise dürfen Touristen in priva¬ten Taxis nicht mitgenommen werden. In kubanischer Begleitung bietet sich da jedoch ein Verhandlungsspielraum. Das Flughafengelände wird auch streng und regelmäßig kontrol¬liert, so dass man einen kleinen Trick anwendet: man nehme ein Tourist-Taxi bis zur Landstraße und steige dann in das eigentliche Taxi ein. Für eine halbe Stunde Fahrt sind 30 $ zwar auch nicht ganz billig, aber was kann man tun? Ich habe also noch keinen Tag kubanischen Boden unter den Füßen und schon die zweite ‘Straftat’ hinter mir.

Die Begrüßung ist herzlich: „willkommen daheim bei deiner neuen Familie für die nächsten 2 Wochen“. Ich werde auch behandelt, wie ein Familienmitglied. Ob es nun darum geht, die Tür zu öffnen, wenn es klopft oder ‘Papa’ zu sagen.Das Haus meiner Gastfamilie kenne ich schon. Ein Eckhaus, dessen hölzerne Eingangstür sich in das Wohnzimmer öffnet. Koloniale Bodenfliesen, antike Möbel auf denen leere Rum¬flaschen als Zeichen des Reichtums ausgestellt werden, sogar eine Kuckucksuhr an der Wand. Die Räume sind um einen Innenhof entworfen, mit hohen Decken, von denen Kronleuchter herabhängen. Die meist verschlossenen Fensterläden bedecken die wunder¬schönen verschnörkelten Glasarbeiten in den Scheiben. Nein, meine Gastfamilie ist nicht arm; immerhin gibt es hier Annehmlichkeiten wie Fernseher und Telefon.
Der bescheidene Wohlstand hat mehrere Ursachen: wenn 3 Menschen in einem Haushalt leben, ist das Wohnen auch auf Kuba billiger. Der große Vorteil von Vater und Sohn meiner Familie ist es jedoch, dass beide in der Tourismusbranche arbeiten. Das macht den großen Unterschied in der kubanischen Zweiklassengesellschaft aus: im Tourismus ver¬dient man Dollar. Für Dollar läßt sich alles kaufen. Wer Pesos verdient - abgesehen von der Landbevölkerung sind das auch Ärzte und Lehrer - kann sich so gut wie nichts kaufen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Dame an der Hotelrezeption eigentlich ausgebildete Ärztin ist, der Taxifahrer Ingenieur usw. Bis vor ungefähr 1 Jahr noch durften Kubaner keine Dollar besitzen, was den Schwarzmarkt und das Geschäft mit dem Geld¬wechsel erblühen ließ. Jetzt könnten Kubaner wenigstens alles kaufen, wenn sie genug Geld hätten.

Aus diesem Grund gehörten nicht nur Medikamente, sondern auch Schreibzeug, Toiletten¬artikel, ganz wichtig: Toilettenpapier, Uhren und Luxusartikel die für Kubaner schlichtweg unerschwinglich sind zu meinen Mitbringseln. Vor allem an Kleidung ist schwer dranzu¬kommen. Schwer, doch offenbar nicht unmöglich, weil die Kubaner - im Vergleich zu den Bewohnern anderer Karibik-Staaten, eigentlich nicht schlecht gekleidet sind. In diesem Moment bricht bei meiner Familie der Stolz durch „wir haben dich nicht wegen deiner Geschenke eingeladen...“ höre ich betreten.

Das Geld, was der Durchschnittskubaner verdient, reicht meist genau zum Essen. Eine drei¬köpfige Familie benötigt bei gutem Essen 10 $, bei Sparmahlzeiten 5 $ pro Woche. Spar¬mahlzeiten heißt einmal täglich - manchmal auch seltener - Reis mit Tomate. Gutes Essen heißt im Einzelnen dann folgendes:
Frühstück. Kaffee oder eine Tasse Wasser mit braunem Zucker. Manchmal gibt es ein Milchbrötchen, meist jedoch nicht.
Mittagessen. Dreimal tief Luft holen. Gestrichen.
Abendessen. Eine richtige warme Mahlzeit. Was niemals fehlen darf sind Reis mit Bohnen. In allen erdenklichen Variationen. Dazu Fleisch oder den seltsamerweise auf einer Insel so unbeliebten aber leckeren Fisch. Salat. Zum Abschluss noch ein Kaffee.

Zu dieser Zeit kann man beobachten, dass Kubaner unglaubliche Mengen auf einmal essen können. Hier würde man für 7 bis 8 Personen kochen, was 3 Kubaner abends futtern. Kein Wunder, wer weiß schon, wann es die nächste anständige Mahlzeit gibt? Das Abendessen ist sowieso nicht ganz unproblematisch, weil pünktlich zu Sonnenuntergang alle anfangen zu kochen und jedes mal der Strom ausfällt. Mal für eine halbe Stunde, mal für drei Stun¬den. In der Zwischenzeit wird das Essen kalt und trocken. Der Kühlschrank taut ab, was man spätestens dann merkt, wenn man in die Pfütze in der Küche getreten ist. Fernsehen fällt auch weg. Also sitzt man im Dunkeln oder im Schein einer stolz hervor gekramten Kerosinlampe und wartet. Ist gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Kubaner fühlen sich auch nicht immer dazu gezwungen, Konversation zu betreiben. Falls es gerade Geld gegeben hat, kann man dann die Flasche Rum öffnen; ein seltener Luxus. Sonst sitzt man da und wartet. Von kubanischer Gelassenheit ist dann allerdings nichts mehr zu spü¬ren, eher von karibischer ‘passion’. Geflucht wird in drei Vokabeln ‘Pinga’, ‘Cojones’ und ‘Fidel’. Egal in welcher kubanischen Begleitung man durch die Lande zieht und zwangs¬läufig auf eines der überlebensgroßen Che-Guevara-Plakate stößt, wird man ein ironisches „ja, Che ist mein Freund“ hören. Das Ende kubanischer Gelassenheit kann man dann am Elektrizitätswerk bewundern, an dem inzwischen die Polizei patrouilliert: in Wut einge¬schlagene Fensterscheiben, demolierte Zäune.
Geht das Licht wieder an, stürzen sich alle auf das Abendessen. Inzwischen ist es dann 8 oder 9 Uhr abends. Das heißt allerdings nicht, dass die Straßenbeleuchtung funktioniert. Manche Stadtteile liegen komplett im Dunkeln und man erschrickt, wenn plötzlich mehrere Leute auf der Straße herumstehen. Hochriskant wird es dann, wenn man mit dem Fahrrad - dem kubanischen Auto, so essentiell wie Nahrung - über die unbeleuchteten, schlaglöchrigen Straßen fährt. Da wird vor jeder Kreuzung gepfiffen, damit sich die Radler nicht gegen¬seitig über den Haufen fahren. Die wenigen Autos, die noch unterwegs sind, haben in den seltensten Fällen noch Licht.

Die Autos stammen fast samt und sonders aus den 50er Jahren. Ein Fiat Bambino ohne Bremsen mit defekter Kupplung von vor 24 Jahren kostet stolze 2000 $. Da versteht sich fast von selbst, dass jeder, ausnahmslos jeder Autobesitzer schwarz Taxi fährt. Das geht auch solange gut, wie kein Fremder mitgenommen wird. Dazu ist schon ein wenig Über¬redungskunst gefordert. Auf einer Fahrt wartete auf der anderen Straßenseite unverhofft eine Polizeikontrolle und ich musste mich im Fußraum verstecken. Die Anspannung, etwas Illegales zu tun, ist wieder da.
Umständlicher und teurer wird es in Touristenorten wie Varadero. Bis zur ‘Punta’ - ver¬gleichbar mit Checkpoint Charlie - kann man mit einem so genannten ‘Taxi particular’ fahren. Der Fahrer biegt dann in eine Seitenstraße ein. Ein paar Meter weiter ist der offi¬zielle Taxistand. Die Touristenorte sind für Kubaner komplett gesperrt. Die Angestellten werden von den umliegenden Wohnorten mit Bussen der Arbeitgeber hinein gefahren. Wer keinen Angestelltenausweis hat, kommt nicht hinein. Da sich aber nur mit Touristendollar ein einigermaßen erträgliches Leben führen lässt, kommt es auch vor, dass eine solche Arbeitserlaubnis gefälscht wird. Wer damit auffliegt wird zu sage und schreibe 12 Jahren Gefängnis verknackt - hierzulande wohl eher ein Kavaliersdelikt. Trotz der Arbeitser¬laubnis merkt man jedem Kubaner eine gewisse Anspannung an, sobald man ins reiche Paradies übertritt. Die Gelassenheit und Fröhlichkeit sind nur noch Maske für die Touri¬sten, die sich nach dem Strandbad unterhalten lassen wollen.

Trotz alledem gibt es natürlich noch Gelegenheiten, Kubaner/innen kennen zu lernen. Eine davon ist die Diskothek „La Rumba“: Touristen bezahlen 10 $ Eintritt, Getränke frei und Kubaner bezahlen keinen Eintritt, dafür aber die Getränke. Das heißt nur dann, wenn sie keine Beziehungen haben. Und die hat eigentlich jeder, Beziehungen sind in einem kommu¬nistischen Land das A und O. Man muss wissen wer was hat, wer wen kennt. So ist eine Freundin hinter der Theke der Garant für ein kostenloses Besäufnis. Kubaner rea¬gieren auf Alkohol genauso wie auf Essen: solange etwas da ist, wird zugeschlagen. Denn keiner weiß, wann es das nächste Mal wieder etwas gibt. Die Alltagssorgen werden in kräftigen Promillen tiefgetränkt, vielleicht steht dann nicht mehr die Frage „wie bekomme ich morgen etwas zu essen?“ im Vordergrund und man kann mal unbeschwert tanzen. Tanzen ist für jeden Kubaner lebenswichtig und darin sind sie Meister. Selbst die Darbie¬tung von 10jährigen Schulmädchen lässt ausgebildete Tänzer in Deutschland erblassen.
Natürlich dient das Ganze auch dazu, Touristen kennen zu lernen. Wie weit sich ein jeder prostituiert ist unterschiedlich. Offiziell gibt es auf Kuba keine Prostitution. Inoffiziell gibt es in jeder Diskothek ein Nebenzimmer. Einen Kubaner mit auf das Hotelzimmer zu neh¬men ist da schon nicht so einfach. Zunächst muss mit dem Hotelportier verhandelt werden - der selbstverständlich ein Bekannter eines Bekannten ist - wie hoch der Preis für zwei zu¬gekniffene Augen sind, meist zwischen 5 und 15 $. Der sagt dann in den frühen Morgen¬stunden vor Schichtwechsel Bescheid, wann der ‘Eingeborene’ wieder in seinen Kral muss. Die Vokabel entwürdigend trifft hier ganz gut. Tagsüber ist es völlig unmöglich, dass ein Kubaner weiter vordringt, als in eine Hotelhalle. Und selbst dann wird er schief angesehen, wenn er nicht ‘geschäftlich’ zu tun hat. Die Prostitution hat so viele Abstufungen wie es Regenbogenfarben gibt. Vom knallharten Stundenlohn für bestimmte Dienstleistungen zu einer Art Urlaubsbeziehung, die sich über mehrere Wochen erstrecken kann. Wobei Geschenke wie Kleidung oder Einladungen zum Essen im Vordergrund stehen.

Ob man es noch als Prostitution bezeichnen kann, dass viele Kubaner versuchen, über eine Heirat das Land zu verlassen? Seitdem die Amerikaner die so genannten ‘boat-people’ wieder zurückschicken ist - abgesehen von Leistungssportlern - die Heirat mit Ausländern die einzige Möglichkeit, Kuba zu verlassen. Das Ganze hört sich sehr einfach an, ist es aber nicht. Eine offizielle Einladung beispielsweise aus Deutschland ist die Spitze eines Eisberges an Bürokratie. Darauf folgt dann die Bezirksverwaltung in Kuba: Offiziell in spanisch abgefasste Einladung (200 $), Ausreisegenehmingung (150 $), Arbeitsbe¬scheinigung (variiert, da die meist geschmiert werden muss), Pass (50 $), Bearbeitungs¬gebühren. Wenn das alles erledigt ist, kann der Eingeladene bei der Botschaft ein Visum beantragen. Dafür muss er ein Flugticket vorlegen, Passbilder und mehrere Anträge ausfül¬len. Das Ganze kostet natürlich zusätzlich noch Schmiergelder, sonst kann man nichts in Kuba bekommen. Knappe 2000 $ sind dann nicht jedermanns Sache. Vielfach bleibt es dann ganz einfach bei Versprechen seitens der Touristen.
Das nimmt den Kubanern auch den Glauben an die Beteuerungen des Ausländers und führt doch nur wieder zur gemeinen Prostitution. Aber davon abgesehen, dass diese strafbar ist, ist sie auch sonst ziemlich risikoreich. Oft wird aus Geldmangel kein Kondom benutzt. Offiziellen Statistiken zufolge gibt es natürlich kaum AIDS, inoffiziell ist das ein Problem. HIV-Infizierte haben in Kuba nichts zu lachen. Die Bevölkerung wird - häufig auch unwis¬sentlich - getestet. Sollte ein HIV-Infizierter dabei sein, sind die behördlichen Schritte hart. Der Kranke wird in spezielle Sanatorien gesteckt, isoliert, darf weder Familie noch Freunde besuchen, geschweige denn besucht werden und darf nicht mehr arbeiten. Das kommt de facto einer Gefängnisstrafe gleich, zumal Krankenhausinsassen von ihren Fami¬lien mit Essen versorgt werden müssen (in den Krankenhäusern gibt es nichts zu essen).

Neben Nahrungsmangel gibt es auch keine Medikamente. Das ist besonders frustrierend für die gut ausgebildeten Mediziner, die eine Krankheit diagnostizieren und wissen, welches Medikament angewandt werden müsste. Reine Theorie. Die Praxis ist, dass es nichts gibt. Noch nicht einmal auf dem Schwarzmarkt. Und der blüht. Jeder kann Zigarren, Rum oder Benzin kaufen. Als Nichtkubaner sehr verwirrend. Man muss einfach nur wissen wo und wer. Fährt man an eine Tankstelle, wird zunächst der Hintereingang genommen, um nach illegalem Sprit zu fragen. Die illegalen Taxifahrer erkennt man daran, dass an ‘Umsteigepunkten’ mehrere Männer untätig herumstehen und sich auf die Frage ‘Taxi, Niño?’ in Bewegung setzen. Falls ausnahmsweise in Pesos bezahlt werden muss, sollte man sich gut auskennen. Da geht der Kubaner zu einem einfachen Wohnhaus, verschwindet mit 2 $ und kommt mit 30 Pesos wieder heraus. Den Rum beschafft man sich genauso: man weiß halt, in welchem Haus die Dame wohnt, die aus der Fabrik immer etwas mitgehen lässt und den guten Havanna Club für 5 $ die Flasche verkauft.

Diese „jeder-kennt-jeden“-Mentalität hat den Vorteil, dass man Papiere auch mal nach Dienstschluss bekommt, ausnahmsweise sogar umsonst. Weil die Sekretärin ein krankes Kind hat, war sie heute zuhause und hätte sowieso Dienstschluss. Aber ‘geh doch einfach mal vorbei und frage nach Theresa’ funktioniert dann, wenn man ihr erklärt, dass man ein Problem mit den Behörden hat. Ein kommunistisches Regime schafft einen völlig anderen Zusammen¬halt im Kampf gegen die Bürokratie.

Als Ausländerin falle ich außerhalb der Touristenorte sehr auf und werde entsprechend ange¬starrt. Etwas, was unsere Ausländer wohl täglich ertragen müssen. Und jeder, vor allem jeder der hier nicht hingehört, wird durch die CDR (Komitees zur Verteidigung der Revo¬lution) überwacht. Davon bekommt man aber im Schnitt nichts mit. Erst bei einem Muse¬umsbesuch wird es klar: nicht nur, dass es für jeden Saal eine Wächterin gibt, die einem ziemlich nahe auf die Pelle rückt, damit man ja nichts anfasst. Nein, nach dem Verlassen des Saales muss man sich dann nach der Anweiserin richten. Die Räume müssen in einer bestimmten Reihenfolge besucht werden, selbst das kann man sich nicht frei aussuchen.

Ein Kubaner erklärt das mit der angeblich nicht vorhandenen Arbeitslosigkeit so, wie es auch im Museum zu sehen war. Beispiel Essen gehen, was sich im Übrigen kein Kubaner leisten kann: Der erste Angestellte kommt zum Tisch, nimmt die Bestellung auf, der Zweite bringt die Getränke, der Dritte das Essen, der Vierte die Rechnung. Wie viele Leute sind in Deutschland damit beschäftigt? Richtig, einer. Dafür haben wir schließlich jede Menge Arbeitslose. Dadurch, so sagen einige Kubaner, werde den Leuten das arbeiten förmlich abgewöhnt. Die Leute können gar nicht mehr arbeiten. Wozu auch? Das Problem kennen wir doch noch aus DDR-Zeiten. Dennoch sind alle Kubaner der festen Überzeugung, sie könnten arbeiten - wenn man sie nur ließe.

Genau das sagt der 45jährige Tauchlehrer, der eigentlich Rechtsanwalt ist. Da er seinen Mund nicht hielt, schloss man seine Anwaltskanzlei in Havanna. Daraufhin hatte er eine Tauchbasis eröffnet, die dann aber verstaatlicht wurde. Jetzt arbeitet er als Angestellter in einer Tauchbasis und flucht jedes mal über die viel zu alten Geräte, denn er trägt die Ver¬antwortung für das Wohlergehen der Urlauber. In Kuba gibt es keine Ersatzteile. Auch einer meiner Familienangehörigen hatte sich als Schreiner selbständig gemacht und sogar einen Angestellten. Lizenz entzogen. Ohne Begründung, völlig willkürlich. „Ich hätte gerne studiert“ erzählt er mir „aber wozu? Als Akademiker kann ich kein Geld verdienen. Höchstens Pesos...“ schließt er versonnen.

Der Witz an dem antiamerikanischen Kommunismus ist, dass man nur in amerikanischer Währung bezahlen kann und dass viele Kubaner die Amerikaner nicht als die bösen Buben der Wirtschaftsblockade sehen. Viel von der Unzufriedenheit, die einem auch immer gegenwärtig auf den Gesichtern entgegenkommt, dürfte noch aus der Zeit stammen, in der die UdSSR viel Geld in Kuba investiert hat. Aus der Zeit stammen die „Wirtschaftswunder“-Kinder Kubas. Die Menschen sehen, wie ihr Lebensstandard sich von Jahr zu Jahr verschlechtert. Ein anderer Faktor für die Unzufriedenheit dürfte auch der gute Ausbildungsstand sein. Knallhart gesagt: eine ungebildete Landbevölkerung, die nichts anderes kennt, als von der Hand in den Mund zu leben, wird weniger unzufrieden sein. Doch wer wird noch eine fundierte Ausbildung machen in einem Land, in dem es zwar doppelt so viele Ärzte pro Einwohner als in Deutschland gibt, aber keine Medika¬mente? In einem Land, in dem ein Taxifahrer das Zehnfache dessen verdient, was ein Ingenieur nach Hause bringt? In einem Land, in dem die kolonialen Häuser verfallen und nicht einmal Wandfarbe zu haben ist? In einem Land, dessen Bevölkerung die typische karibische Fröhlichkeit vermissen lässt?

Kommt man einem Kubaner mit dem Argument „in anderen karibischen Staaten leben die Leute noch ärmlicher und sind wesentlich schlechter ausgebildet“ wird man mit „wir reden jetzt aber nicht von XYZ sondern von Kuba!“ mundtot gemacht. Nationalstolz ist da, aber die Desillusion ist stärker. Auch ich fuhr, geblendet vom wiederauferstandenen Che-Kult in Deutschland, mit idealistischen Vorstellungen nach Kuba. Doch das Leben ist nicht idealistisch. Man bewegt sich immer am Rande der Legalität, muss schmieren und drehen wo man kann. Das macht das Leben anstrengend und die Menschen altern schneller. Es war eine Reise zum Ende des sozialistischen Traums. Und das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, ist nie gewichen...
 
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